Volker Scherliess begeisterte nicht nur in seinen Vorlesungen, sondern auch in seiner legendären öffentlichen Vorlesungsreihe „Werkstatt Musikgeschichte“ Generationen von Studierenden und Konzertbesuchern mit seinen profunden und humorvollen Einblicken in die Welt der Musik. Man erlebte ihn als glänzenden Redner mit einer tiefen kulturellen Bildung, der seinen Zuhörern ungeahnte Türen in das Reich der Musik zu öffnen vermochte.
1945 in Osterode (Harz) geboren, studierte Scherliess in Hamburg Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie. So verwundert es nicht, dass er sich in seinen Forschungen und Publikationen immer wieder den Beziehungen zwischen Musik und Literatur und Musik und bildender Kunst widmete. 2009 erschien sein Buch über „Nolde und Erdmann“, zwei Persönlichkeiten, die ihn besonders fasziniert und geprägt haben. Mit großer Leidenschaft engagierte er sich von 1996 bis 2020 im Kuratorium der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, die ihm dafür die Ehrenmitgliedschaft verlieh. Seit 2007 war Scherliess zudem assoziiertes Mitglied der Max-Planck-Research-Group „Das wissende Bild“ am Kunsthistorischen Institut des Max-Planck-Instituts in Florenz, wo er zu Darstellungen von Musikinstrumenten bei Georg Philipp Harsdörffer forschte.
Scherliess war fasziniert von italienischer Kultur. Fünf Jahre widmete er sich als Stipendiat in Rom der italienischen Musik, später arbeitete er am dortigen Deutschen Historischen Institut. Nach einer Assistenz in Tübingen wurde er 1979 als Professor an die Staatliche Hochschule für Musik Trossingen berufen, Gastdozenturen führten ihn auch an die Universitäten Freiburg und Basel. Sein Hauptinteresse galt der Musik des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts. Unter den zahlreichen Publikationen, die Scherliess vorlegte und die von seinem weiten Forschungsspektrum zeugen, ragen Monographien über Gioacchino Rossini, Alban Berg und Igor Strawinsky sowie der Band über „Neoklassizismus – Dialog mit der Geschichte“ heraus. Darüber hinaus publizierte er unter anderem auch über Fragen der Aufführungspraxis bei Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Mahler und Strawinsky.
Von besonderer Bedeutung für sein musikalisches Verständnis und seine Arbeit war die Beschäftigung mit dem Leben und Schaffen des Pianisten und Komponisten Eduard Erdmann – einige seiner Werke brachte Scherliess mit Studierenden erstmals oder wieder zur Aufführung. Auch Lübecker Themen griff er in seinen Veröffentlichungen auf wie die „Geschichte der Lübecker Abendmusiken“ und „Thomas Mann und die Musik“. Noch zu seinem 75. Geburtstag erschien im vergangenen Jahr sein letztes Buch „,Werkstatt Musikgeschichte‘ – Annäherungen an Musik und Musiker“, ein Sammelband mit Reden, Vorträge und Einführungen, die er in seinen Jahren in Lübeck gehalten hat.
Die Musikwelt hat einen eigenwilligen, höchst originellen Musikforscher verloren. Seinen Studierenden wird Volker Scherliess als prägender Lehrer in Erinnerung bleiben, der mit außerordentlichem Wissen, Witz und Humor inspirierte und begeisterte und mit Warmherzigkeit förderte. Die Musikhochschule Lübeck wird ihm als herausragendem Menschen, Forscher und Pädagogen stets ein ehrendes Andenken bewahren.