Solidaritätsbekundungen mit den Menschen in der Ukraine in der MHL und im Deutschen Haus in Flensburg:
5 Fragen an Gastdirigent Clemens Schuldt
1. Was macht einen guten Dirigenten aus?
Es ist schwer, das auf den Punkt zu bringen. Denn ich finde, es gehören ein ganzes Bündel an Eigenschaften dazu und das macht auch den Reiz und die Herausforderung aus. Deswegen sagen viele, dass es nicht viele wirklich gute Dirigenten gebe. Am allerwichtigsten ist vielleicht die Vermittlung der eigenen Vorstellungen auf das Orchester. Dabei hilft ein gutes Gehör. Immer gern gesehen ist eine verständliche Schlagtechnik, eine »kurzweilig« wirkende Probenarbeit und eben eine Persönlichkeit, der bis zu 100 Musikerinnen und Musiker gerne folgen, von der sie sich inspiriert fühlen. Dazu kommen natürlich je nach Aufgabe und Land noch weitere Eigenschaften wie gutes Konfliktmanagement, dramaturgisches und planerisches Geschick (als GMD), Repräsentationsfähigkeiten (»pre-concert talk«; Sponsorengespräche). Über dem steht eines: Sie oder er muss ein guter Musiker sein!
2. Sie dirigieren zum ersten Mal das MHL-Sinfonieorchester. Was reizt Sie an der Zusammenarbeit mit einem studentischen Orchester?
Ich sehe den Unterschied zu einem Profiorchester gar nicht so sehr. Alle spielen auf einem sehr hohen Niveau, haben sicher auch schon einiges an Orchestererfahrung. Das Interessante wird sein, den Entdeckergeist aufzugreifen und möglichst tief in die Werke einzutauchen. Darüber hinaus in der Probenzeit einen einheitlichen Klang und ein Wir-Gefühl zu erzeugen, da es ja kein gewachsener Klangkörper ist, auch wenn sich fast alle untereinander kennen.
3. Was an dem Programm mit Schumanns Klavierkonzert a-Moll, Mahlers Erster Sinfonie und der studentischen Uraufführung ist »fantastisch« und passt so zum diesjährigen Konzert- und Festivaltitel?
»Fantastisch« im Sinne der Romantiker ist ja das Unfassbare, Immaterielle, das Fantasiereich jenseits der Realität. Schumann war von den romantischen Ideen nicht nur zutiefst beeinflusst, er hat sie sogar in seiner eigenen Persönlichkeit wiedergefunden. Mahler ist vielleicht der letzte echte Romantiker in dem Sinne, der versucht, Dies- und Jenseits in seinen Werken miteinander zu verknüpfen. Eine ganze Welt wollte er ja mit jeder seiner Sinfonien zum Ausdruck bringen. Und gerade seine Erste ist so voller Assoziationen, Bilder, Stimmungen, Zitate und Naturlaute, dass selbst einem Romantiker wie E.T.A. Hoffmann schwindelig werden würde. Und zu guter Letzt liebe ich es, Werke uraufzuführen, sie also aus dem Reich der Fantasie ins Leben zu holen!
4. Sie sagten einmal, dass »Proben das Wertvollste überhaupt« seien. Ist das unter den derzeitigen Bedingungen noch immer so?
Was hat sich (für Sie) verändert? Ich hoffe sehr, dass die jetzigen Zustände bald der Vergangenheit angehören und wir uns in Ruhe überlegen können, was wir aus dieser Zeit lernen und mitnehmen wollen. Proben sind wie der Anlauf beim Weitsprung – hier entscheidet sich wie weit man gemeinsam im Konzert springen kann. Wieviel Anlauf man braucht, hängt auch vom Orchester und Repertoire ab. Ich benutze dieses Bild, weil ich nicht finde, dass am Ende der Proben das Endergebnis steht. Vielmehr liebe ich es, wenn während der Aufführung noch einiges an Inspiration und Energie dazukommt.
5. Warum sollten junge Menschen noch Musik studieren – in dieser Zeit, in der der klassische Kulturbetrieb so sehr in Frage gestellt wird wie selten zuvor?
Ich kann die Verunsicherung verstehen und würde auch nicht gerne tauschen wollen mit den Studierenden von heute. Aber ich sehe die Zukunft insgesamt weniger pessimistisch. Die Frage nach der »Systemrelevanz« war von vornherein die falsche, sie hat ja auch andere Branchen ausgeklammert. Es gab auch den gegenteiligen Effekt, dass die Menschen sich bewusst wurden, wie sehr ihnen Kulturangebote gefehlt haben. Ich sehe die große Aufgabe der Kultur für die Zukunft darin, sich langfristig politisch besser aufzustellen, denn der Großteil der Gelder kommt nun mal vom Staat und das ist Privileg und Aufgabe zugleich. Darüber hinaus müssen wir die Leute wieder angstfrei in die Konzerte bekommen und das könnte länger dauern als uns lieb ist. Auch für die freie Szene braucht es bessere Absicherungsmechanismen. Denn für ein lebendiges Kulturland braucht es beides: Die festangestellten Musikerinnen und Musiker und die »Freien« und »Freigeister«, die mit neuen Festivalideen oder Ensembles frischen Wind in die Szene bringen. Kurz gesagt: Wenn die Leidenschaft bei den jungen Musikerinnen und Musikern stimmt, wird am Ende auch ein erfüllender Beruf dabei herauskommen.
Clemens Schuldt ist seit der Saison 2016/17 Chefdirigent des Münchener Kammerorchesters. Der gebürtige Bremer studierte zunächst Violine und spielte beim Gürzenich-Orchester Köln und bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Im Anschluss daran absolvierte er ein Dirigierstudium in Düsseldorf, Wien und Weimar. Seine innovativen Interpretationen des klassischen und romantischen Repertoires und seine Kreativität beim Einbinden unbekannter oder moderner Stücke in die Konzertprogramme finden weitreichende Anerkennung. In der Saison 2021/22 debütiert er beim BBC Symphony Orchestra in Birmingham, beim Hallé Orchestra, Copenhagen Philharmonic, Trondheim Symphony Orchestra, Orquestra Sinfónica do Porto, Konzerthausorchester Berlin und der Staatskapelle Weimar. Er dirigierte namhafte Orchester wie das Deutsche Symphonie Orchester Berlin, das WDR und SWR Symphonieorchester sowie das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, die Bamberger Symphoniker, das Royal Scottish National Orchestra, das Netherlands Philharmonic Orchestra, das Orchestre de la Suisse Romande, das Norwegian National Opera Orchestra, das Orchestre National du Capitole de Toulouse und das Orquestra Simfònica de Barcelona. Darüber hinaus arbeitete Clemens Schuldt u.a. mit dem North Carolina Symphony Orchestra, dem Oregon Symphony Orchestra, dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra, dem New Japan Philharmonic Orchestra und dem Tasmanian Symphony Orchestra zusammen. 2010 gewann er den renommierten Donatella Flick Dirigierwettbewerb in London und war ein Jahr lang Assistant Conductor des London Symphony Orchestra. In der kommenden Spielzeit 2022/23 wird er am Badischen Staatstheater Karlsruhe die Wiederaufnahme der Zauberflöte sowie beim Garsington Festival (England) die Neuproduktion von Mozarts Mitridate, re di Ponte mit The English Concert leiten.
Musikhochschule Lübeck (MHL)
Konzertsaaleingang: An der Obertrave
23552 Lübeck
www.mh-luebeck.de
Deutsches Haus Flensburg
Berliner Platz 1
24937 Flensburg
www.events-flensburg.de
Sinfoniekonzert im Großer Saal der MHL
15 / 20 Euro (ermäßigt 9 / 13 Euro)
Sinfoniekonzert im Deutschen Haus Flensburg
Eintritt frei
Alle Preise verstehen sich inklusive aller Gebühren. 10% Ermäßigung für Inhaber der NDR Kultur Karte an der Tages- bzw. Abendkasse. Karten bei allen Vorverkaufsstellen des Lübeck-Tickets und online über www.luebeck-ticket.de.